Als allererstes an alle, die das Wort "Transfusionsmedizin" gehört haben und nun wissen wollen, was das ist. Und dann an alle Mediziner und auch interessierte nicht Mediziner, die es etwas genauer wissen wollen. Fast alle meine Texte werden von meinem Ehemann korrekturgelesen. Er hat mit Medizin nichts zu tun, er zeigte aber schon immer wirkliches Interesse daran, wie die Dinge in der Medizin funktionieren und warum Mediziner so und nicht anders handeln. Nach über 10 Jahren Ehe hat er bereits ein solides Grundwissen im Vokabular und deshalb kann es sein, dass ein kompletter Laie sich schwer tut, beim Verständnis - dafür gibt es aber ein Glossar. Und natürlich den Dr. Google :-).
Auf der anderen Seite könnten Kollegen vom Fach alles etwas zu simplifiziert empfinden. Aber wenn jemand den "Köder" geschluckt hat, hat er unzählige Möglichkeiten, die Materie weiter zu ergründen.
Als Mediziner der "alten Schule" - alter Studienplan - wusste ich so gut wie gar nichts über Transfusionsmedizin. (Nicht mal, dass es so etwas gibt...) Das Fach wurde im Studium praktisch nicht erwähnt und ein frisch gebackener Dr.med. weiss sehr oft gar nicht, dass er die Möglichkeit hat, eine Ausbildung in dieser Richtung zu machen. Erst später, wenn sie schon mitten in einer Assistenzarztausbildung in einem der klinischen Fächer sind, kommen sie drauf, dass es eine eigene Fachausbildung ist. Dadurch ist es für uns gar nicht so einfach Nachwuchsmediziner zu bekommen. In der Universitätsklinik Innsbruck gibt es die Möglichkeit, Transfusionsmedizin als Wahlfach während des KPJ zu absolvieren.
Ich wusste, dass es vier Blutgruppen gibt und dass man sie nicht wahllos durcheinander transfundieren darf, sonst Patient tot. Aber wie man aus diesen zwei Erkenntnissen ein ganzes Fach aufbauen möchte - das war mir völlig schleierhaft.
Also begann ich zu recherchieren und erlebte eine große Überraschung.
Die vier Blutgruppen A, B, O und AB - auch wenn sie die wichtigsten sind, sie gehen in der Masse der anderen 300-400 Blutgruppen unter. Es ist recht schwer eine konkrete Anzahl zu nennen, weil immer wieder neue BG entdeckt werden.
Und als wären so viele BG nicht genug, gegen jede dieser BG kann nach einer Transfusion oder Schwangerschaft ein irregulärer Antikörper gebildet werden. Und genau da wird es spannend.
Angenommen ein Patient braucht Blut. Es wird die Blutgruppe bestimmt und es wird nach diesen irregulären Antikörpern gesucht (gehört zu einer BG-Bestimmung obligat immer dazu). Und ja, er hat welche - und zwar nicht einen, oder zwei sondern gleich 3 davon. Die Herausforderung ist jetzt die Spezifitäten der AK zu bestimmen - das heisst passenderweise Antikörperidentifikation oder Antikörperdifferenzierung und es kann eine extrem aufwendige und mühsame Arbeit werden. Und wenn man die Antikörper identifiziert hat, beginnt die Suche nach passenden Blutkonserven, die die Antigene, gegen die sich die gefundenen Antikörper richten, nicht haben. Bei drei - oder mehr - Antikörpern ist es manchmal unmöglich solche Blutkonserven zu finden, besonders wenn sie sich gegen ein häufiges Antigen richten. In solchen Fällen ist man manchmal auf die Zusammenarbeit mit anderen Blutbanken angewiesen - und nicht nur den österreichischen. Das hier beschriebene Szenario kommt allerdings in der Praxis eher selten vor. Die meisten Patienten, die sich schon einen irregulären Antikörper zulegen, haben eben nur einen oder zwei und es ist für eine große Blutbank gar kein Problem, passende Blutkonserven zu finden. Natürlich vorausgesetzt, es handelt sich nicht um einen Notfall mit Massivtransfusion, bei der 20 bis 30 Blutkonserven transfundiert werden müssen. Aber auch dieser Fall kommt nicht häufig vor (und jeder, der in einer Blutbank und immunhämatologischen Labor arbeitet, hofft, dass es auch so bleibt :-) ).
Also gut, das mit den Blutkonserven - in der Fachsprache Erythrozytenkonzentrate, das kann sich sicher jeder noch vorstellen. Aber echt jetzt - ein ganzes Fach nur DAFÜR?????
Nein, natürlich nicht.
Zum Aufgabengebiet der Transfusionsmediziner gehört auch die Her- und Bereitstellung von sämtlichen Blutprodukten. Und dazu gehören ausser den Erythrozytenkonzentraten folgende Produkte:
Durch den Einsatz der zellulären Apherese können also reine Komponentenkonzentrate hergestellt werden - wie eben Thrombozytenkonzentrate. Auch Plasma kann mittels Plasmapherese hergestellt werden.
Die Apherese kann aber ebenfalls therapeutisch eingesetzt werden - dadurch ist es möglich selektiv einzelne Komponenten zu entfernen: Leukozyten bei einer Blastenkrise im Rahmen einer Leukämie oder zum Plasmaaustausch bei vielen Autoimmunerkrankungen.
Eine relativ "neue" Anwendungsmöglichkeit (im Vergleich zur Blutspende selbst) findet die Apherese in der Behandlung von verschiedenen malignen Krebsarten, die durch eine Knochenmarktransplantation behandelt werden können. Das kann auf zwei Arten durchgeführt werden: autolog - der Patient bekommt seine eigenen Stamzellen zurück. Das funktioniert folgendermassen: Der Patient bekommt eine Chemotherapie und wenn der Großteil der Krebszellen eliminiert ist, bekommt er ein Mittel - Wachstumshormon für Stammzellen - G-CSF, das die Ausschüttung von gesunden Stammzellen aus dem Knochenmark stimuliert. Nach ca. 7-10 Tagen ist der Patient so weit, dass man mittels Apherese die Stammzellen herausholen kann. Das nennt man eine autologe Stammzelltransplantation. Allerdings liefern die Transfusionsmediziner nur das gesammelte Stammzellkonzentrat. Die Behandlung der Patienten liegt in dem Zuständigkeitsbereich der Hämatoonkologen.
Oder es funktioniert auch als allogene Zellspende:
Eine allogene Stammzellspende ist eine Fremdspende. Während früher der Spender unter Narkose mehrere Löcher in den Beckenknochen bekommen hat, um das Knochenmark zu entnehmen, reicht jetzt eine ca. 7 Tage lange Stimulation mit dem G-CSF und 1 - 2 Läufe der Apherese. Wenn also jemand im Stammzellregister gemeldet ist und nach allen Voruntersuchungen tatsächlich als Spender in Frage kommt, hat er die Wahl zwischen einer Stammzellpherese oder einer Knochenmarkspende.
Und so wie man Zellen aus dem Körper entfernen kann, kann auch das Plasma entfernt und gegen neues Plasma oder nur Humanalbumin (Proteinlösung) ersetzt werden. Autoantikörper werden bei Autoimmunerkrankungen gebildet und können sich gegen alles Mögliche richten. Plasmaaustausch wird vor allem bei der Myasthenia gravis und Guillain-Barré-Syndrom eingesetzt In beiden Erkrankungen richten sich die Antikörper gegen ein Antigen auf den Nervenfasern und führen so zur Muskelschwäche. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann auf die Namen klicken - die Links führen zu sehr guten Beschreibungen der Erkrankungen (für Patienten ohne medizinisches Wissen gedacht) - sie sind allerdings auf englisch. Umgekehrt kann auch Plasma, dem eine bestimmte Substanz fehlt, gegen Spenderplasma ausgetauscht werden. Das wird vor allem bei Erkrankungen aus der Gruppe der Thrombotisch-Thrombozytopenischen Mikroangiopathien eingesetzt.
Ein sehr wichtiges Kapitel der Transfusionsmedizin hat mit dem Fach auf den ersten Blick nichts zu tun - nämlich die Immungenetik. Bei uns werden Patienten, die auf eine Transplantation warten auf ihre Gewebemerkmale untersucht (typisiert). Ausserdem betreuen wir Patienten nach Transplantationen im Bereich der Antikörperabstossung. Nachdem Innsbruck ein großes Transplantationszentrum ist, das den Westen von Österreich und Südtirol betreut, haben wir eine 24h Bereitschaft, die einen potenziellen Spender aus dieser Region gleich typisieren kann. Werden uns Organe aus anderen Regionen oder Ländern geschickt, muss vor allem bei der Nierentransplantation noch vor der OP eine Verträglichkeitsprobe zwischen den Zellen des Spenders und dem Serum des Empfängers durchgeführt werden. Aber sonst passiert in der Immungenetik (das HLA-Labor) auch noch vieles mehr... :-).
Und nicht zuletzt, sollte es zu einer Transfusionsreaktion kommen, muss die Ursache immunhämatologisch genau abgeklärt werden. Auch in dem seltenen Fall, dass es zu Krankheitsübertragung kommt, muss durch die genaue Rückverfolgung der Transfusionskette geklärt werden, wie es dazu kommen konnte und ob durch weitere Blutprodukte nicht noch weitere Empfänger gefährdet sind. Diese Vorfälle müssen dem BASG gemeldet werden, welches am Ende des Jahres eine Statistik für Österreich daraus macht, um zu sehen, wie sicher die Transfusionen in Österreich sind. Das nennt man Hämovigilanz und ist gesetzlich verpflichtend.
Ein Transfusionsmediziner muss wissen, wie und auf welche Parameter die gespendeten Blutprodukte getestet werden müssen. Er muss die Funktionsweise der einzelnen Tests verstehen, um unklare Befunde beurteilen zu können, ggf. weitere Untersuchungen anzuordnen, um einen Verdacht zu bestätigen oder auszuschliessen.
Die Unterstützung von Gynäkologen bei der Betreuung von Schwangeren, die irreguläre Antikörper haben, die sich gegen Antigene richten, welche sich auf den fötalen Erythrozyten befinden, rundet das Tätigkeitsfeld ab.
Zuletzt bearbeitet am 30.10.2023.